Übersetzungsleistungen von Diplomatie und Medien im vormodernen Friedensprozess.
Europa 1450-1789

Leitung: Prof. Dr. Dr. hc. Heinz Duchhardt und Dr. Martin Espenhorst, geb. Peters

Arbeitspaket I,
Begründungsmetaphern in Friedensverträgen

» Von der natürlichen Herrscherperson zur Eigenpersönlichkeit des Staates. Staatliche    Souveränität als neue Begründungsmetapher außenpolitischen Entscheidens
» Die politische Sprache und Metaphern im Friedensprozess
» Übersetzungsleistungen von Diplomatie im interkulturellen Friedensprozess:
   Habsburg und das Osmanische Reich im 18. Jahrhundert

Arbeitspaket II,
Unwissen und Missverständnisse im europäischen Friedensprozess


Arbeitspaket I
Von der natürlichen Herrscherperson zur Eigenpersönlichkeit des Staates. Staatliche Souveränität als neue Begründungsmetapher außenpolitischen Entscheidens

Namentlich das 18. und beginnende 19. Jahrhundert sind Verdichtungsphasen eines Übersetzungs- und Abstrakionsprozesses: Die dynastisch legitimierte Persönlichkeit des Herrschers als Souverän wird zunehmend durch die rational legitimierte Eigenpersönlichkeit von Staat als abstrakter Größe ergänzt. Dahinter firmiert indes – im Gegensatz zu späteren Epochen - weiterhin machtpolitisch nahezu ausschließlich der Herrscher. Mehr noch: Bildeten die Stände bis dato eine gewisse Eigenmacht, so werden diese just im Namen des Staates gleichsam „eingestaatet“ [Demel]. Ist Staat zunächst gleichsam das Argument, in dessen Begriff der Herrscher seine Machtansprüche legitimierend zu übersetzen versucht, so entfaltet jener neue Jargon des Politischen eine Eigendynamik, die derjenigen des Gesetzesstaates entspricht und deren Teil ist. Gesetzesstaatlichkeit und in dargestellter Weise zu verstehende Verstaatlichung sind gleichermaßen Teil eines Rationalisierungsvorganges souveräner Herrschaft, der sich über ein neues Zeichensystem historisch greifbar machen lassen. Doch diese Translation ist eben langfristig zugleich eine Transformation von Macht. Wie peinlich dabei die Gleichgewichtigkeit beider Sprachen gewahrt bleibt, zeigt sich in den Friedensverträgen des 18. Jahrhunderts beispielsweise darin, dass häufig die Begriffe „rex“ und „res publica“ simultan angeführt werden.
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Zu prüfen wäre, inwieweit die Jellineksche Defintionstrias, namentlich das Staatsgebiet Bezugsgröße legitimatorischer Argumentation außenpolitischen Handelns ist. Die rezente historische Forschung hat sich hierzu häufig skeptisch geäußert, lässt aber offen, wann und wie sich jener Verstaatlichungs-, Transformations- und Abstrakionsprozess vollzogen haben soll, an dessen Ende das 19. Jahrhundert den modernen Staat vorfindet. Ältestes Moment des zu untersuchenden Übersetzungsvorgangs rationalisierender Abstraktion sind die Finanzen. Bekanntlich hat Ernst Kantorowicz bereits für Mittelalter und anbrechende Neuzeit das Eigenleben des fiscus betont, etwa in der häufig anzutreffen Dualität von „Christus – Fiscus“. Somit möchte sich fast der Begriff der Konsequenz einstellen, um zu beschreiben, dass in Friedensverträgen des
18. Jahrhunderts der fiscus nur noch allein angeführt zu werden pflegt, obgleich in der Sache unweigerlich vornehmste Rechte des Herrschers betroffen sind.

Weitere Fragen sollen geprüft werden nach der Maßgabe, inwieweit das Material gestattet, diese begrifflich eindeutig greifbar und hinreichend klar zu beantworten: Dient mittelbar bereits das Staatsvolk, die „cari subiecti“, als Legitimationsinstanz? Ist gar Gedankengut der atlantischen Revolutionen, namentlich das Konzept der Volkssouveränität antizipierbar, ggf. auch durch gezieltes Abwehren oder Leugnen aufklärerischer Konzepte?
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So weiterführend diese Frage nicht nur für das Verständnis der Epoche, sondern auch ganz unmittelbar für dasjenige unserer heutigen Gegenwart ist, so ambitioniert ist es, sie genau beantworten zu wollen. Die Ergebnisoffenheit wissenschaftlicher Forschung ist hier handgreiflich.

Weitere mögliche Forschungsfelder könnten durch folgende Fragen erschlossen werden:
- Wie ausgeprägt ist eine analog zur Person des Monarchen entwickelte Organsprache, insbesondere hinsichtlich der Staatsgrenzen als Manifestation territorialer Integrität? Wird die Jahrhunderte alte Codierung herrscherlicher Souveränität bereits vollständig in diejenige staatlicher Souveränität übersetzt? (Zu denken ist an den Prozess der Linearisierung und Entzonung von Grenzen, z. B. Verträge mit Lüttich und Savoyen)

- Lässt sich über Verwendungszusammenhänge des Staatsbegriffes feststellen, ob und inwieweit sich die Eigenart von Außenpolitik vom „Spiel der Könige“ zu inter-nationalen Beziehungen verändert?

- Zusammenfassend: Inwieweit ist der Staat als Begründungsmetapher (außen-)politischen Handelns als Träger von Rationalisierungsprozessen des Politischen auszumachen? Inwieweit lässt sich im Konzept des Staates eine Entpersönlichung, Abstraktion und zunehmende Verfahrensförmigkeit von (Außen-)Politik greifen? Schließlich könnte noch gleichsam ausblickend gefragt werden, ob das Staatskonzept als Begründungsmetapher Katalysator von Säkularisierung ist.

Mitarbeiter: « PD Dr. Daniel Hildebrand »

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Die politische Sprache und Metaphern im Friedensprozess

„Ewiger Frieden“, das „Gleichgewicht Europas“ und ähnliche Formulierungen gehören im vormodernen Friedensprozess zum üblichen Metaphernvokabular, um Friedens- und Allianzverträge verschiedener Parteien zu legitimieren. Vertragsziel war in aller Regel die (Wieder-)Herstellung eines friedlichen, gemeinschaftlichen Miteinanders, das man durch eine oder mehrere Mächte bedroht sah.

Der lange Prozess der Herrschaftsverdichtung und Staatswerdung benötigte, wie von der Forschung hervorgehoben wurde, den Krieg, um ein entsprechendes Instrumentarium zur Durchsetzung von Herrschaft aufzubauen. Herrschaft war nun aber nicht nur durch ein kriegerisches Gegeneinander, sondern auch durch den Versuch eines friedlichen Miteinanders gekennzeichnet. Trotz der Konstanz der gebrauchten Topoi in vormodernen Friedensverträgen wird in diesem Teilprojekt davon ausgegangen, dass die Gemeinplätze in der Periode nach dem Frieden von Münster und Osnabrück einem Bedeutungswandel unterlagen, wie beispielsweise die Metapher der „christianitas“.

Ziel dieses Teilprojekts ist die Erforschung dieser Bedeutungsverschiebungen, die ein friedliches Miteinander ermöglichen sollten. Durch die Setzung von Metaphern wurde erst der begriffliche Rahmen zur Konzeptualisierung der Gemeinschaft und somit des Neben- und Miteinanders geschaffen. Möglicherweise handelt es sich dabei, um Formulierungen, die eine Vielzahl von verschiedenen Deutungen zuließen und somit inhaltliche Verschiebungen bei gleicher Wortwahl ermöglichten. Die Herausbildung der „corps diplomatique“ in der Zeit nach 1648 begünstigte durch die Kommunikationsverdichtung die Entstehung einer politischen Sprache. Am Beispiel von Friedensverhandlungen soll untersucht werden, wann wo auf welches Vokabular zurückgegriffen wurde und warum. Somit soll ein Beitrag zur Erforschung der internationalen Beziehungen der Frühen Neuzeit geleistet werden.

Mitarbeiter: « Niels F. May, M.A. »

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Übersetzungsleistungen von Diplomatie im interkulturellen Friedensprozess: Habsburg und das Osmanische Reich im 18. Jahrhundert

Das Forschungsprojekt setzt auf verschiedenen Ebenen an: Zum einen wird die Terminologie der habsburgisch-osmanischen Friedensverträge im 18. Jahrhundert Gegenstand der Untersuchung sein. Ausgangspunkt ist dabei die Vermutung, dass die Übersetzung von Friedensverträgen vom Lateinischen ins Osmanisch-Türkische mit besonderen Problemen verbunden war. Die Tatsache, dass das habsburgische Imperium aufgrund der Siege seiner Heere die Friedensverträge von Karlowitz und Passarowitz erstmals aus einer Position der Stärke heraus schließen konnte, brachte es mit sich, dass die Verträge inhaltlich weitgehend nach seinen Vorstellungen gestaltet wurden. Deshalb soll untersucht werden, ob und inwieweit im Zuge von Übersetzungen ins Osmanische terminologische Äquivalente für dem klassischen islamischen Recht unbekannte Begründungsmetaphern geschaffen wurden.

Daneben ist auch nach der Rolle von Sprachmittlern in Friedensprozessen zu fragen. Hier ist auf habsburgischer Seite deutlich eine Tendenz der Professionalisierung erkennbar, die durch die Gründung der Orientalischen Akademie in Wien 1754 noch verstärkt wurde. In diesem Zusammenhang gilt es zu klären, welche Bedeutung Bildungshintergründe spielten, ob und in welchem Ausmaß also akademisch erworbenes Wissen und Bilder über die Osmanen praktische Bedeutung in der Aushandlung und Festsetzung von Frieden spielten.
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Anhand zweier regionaler Fallstudien soll im zweiten Teil der Untersuchung der Frage nachgegangen werden, wie Bestimmungen von Friedensverträgen in die Praxis umgesetzt wurden, wie um ihre Interpretation gerungen wurde, wie Kompromisse hergestellt werden konnten, wie aber auch Sprache, Nichtwissen und dadurch begründetes Nichtverstehen manipulierend eingesetzt wurden. Hier bieten sich aufgrund einer recht günstigen Quellenlage zum einen der Bereich der osmanischen Provinz Temeschwar nach dem Karlowitzer Frieden und die Arbeit der Grenzkommission an der Save nach dem Belgrader Frieden als exemplarische Untersuchungsgegenstände an.

Allgemein gilt es zu prüfen, inwieweit Ansätze der Translationstheorie und Arbeiten zur interkulturellen Kommunikation für historische Fragestellungen fruchtbar gemacht werden können.

Mitarbeiter: « Dennis Dierks, Mag. »

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Arbeitspaket II,
Unwissen und Missverständnisse im europäischen Friedensprozess

Das zweite Arbeitspaket des Mainzer Teilprojektes beschäftigt sich mit den Kategorien „Unwissen“, „Missverständnis“ und „Ignoranz“ im vormodernen europäischen Friedensprozess. Unwissen und Missverständnisse sind schon häufig Triebfedern historischer Prozesse gewesen. Das berühmteste Beispiel ist die Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus.
Auch der Ablauf vormoderner Friedensverhandlungen ist nicht ausschließlich durch rationale Strategien und das Primat der Macht und des militärisch Stärkeren bestimmt. Lag es etwa am Genie und Geschick einzelner Fürsten und Diplomaten und ihren Einschätzungen und Deutungen der politischen Situation? Dabei gehe ich von der Annahme aus, dass auf Friedensverhandlungen ein Austausch von Kenntnissen sowie von positiv oder auch negativ konnotierten Bildern stattfindet. Bilder, die sich die Verhandlungspartner von einander machen, oder auch Vorstellungen von den Ursachen der Konflikte, Erwartungshaltungen spielen dort hinein, Denk- und Handlungstraditionen und das Vertrauen und Misstrauen der Vertragspartner untereinander. Eine zentrale Frage lautet also: Gab es unterschiedliches Wissen vom Frieden und den Instrumenten der Friedenswahrung und -herstellung? Und wenn ja, wie wurden diese differenten Friedens-Kulturen miteinander in Einklang gebracht und übersetzt?
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Missverständnisse entstehen durch Translationsdefizite. Es sind hierbei verschiedene Ebenen der Translationsleistungen zu unterscheiden: die – völkerrechtliche und zwischenstaatliche – Ebene des Vermittlers, der zwischen Vertragsparteien moderiert; die – diplomatische – Ebene des Gesandten, der die Instruktionen seines Fürsten umsetzt, und die – philologische – Ebene des Dolmetschers, der sich dem sprachlichen Transfer von Texten widmet. Denn nicht nur zwischen den Mächten waren Translationsleistungen zu erbringen, sondern auch zwischen den Fürsten und ihren Diplomaten sowie Botschaftern. Dabei haben Dolmetscher Texte sowie mündliche Informationen in eine andere Sprache möglichst inhaltsgetreu übersetzt und auch weiter getragen, eventuell aber auch bewusst oder unbewusst verändert und verformt. Dies prädestinierte sie für Spionagetätigkeiten, für Kodierungen und Dekodierungen. Auf der Ebene der Informationsvermittlung ist schließlich auch die „wissenschaftliche“ Perzeption und Bewertung spezifischer politischer und rechtlicher Situationen anzusiedeln, durch die Handlungen und Strategien im Friedensprozess vorbereitet werden. Es lassen sich weitere Ebenen denken, etwa zeremonielle Translationsleistungen, wissenschaftliche (Editionen) und mediale (Bilder) Übersetzungsleistungen. Übersetzungen fanden also statt, wenn es um die Deutung von Phänomenen, also von politischen Ereignissen und Sachverhalten, ging. Dabei konnten die Medien durchaus gewechselt, transmedialisiert, werden, etwa wenn literarische Darstellungen von Frieden visualisiert wurden.
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Über Unwissen, Missverstand und Ignoranz wurden schon in der Frühen Neuzeit in Diplomatie, Völkerrecht und auch Philosophie reflektiert. Gerade in Zeiten der Aufklärung waren sie negativ besetzt. In der Präambel der französischen Menschenrechtserklärung waren sie Ausdruck eines zu revolutionierenden gesamtgesellschaftlichen Zustandes einer kollektiven Kultur des Nicht-, Unwissens und Vergessens, besonders der Menschenrechte, die nach ihrer Ansicht die Ursache für Unglück und Verderbtheit der politisch-sozialen Ordnung sei. Friedrich Karl Moser in seiner „Staats-Grammatic“ hingegen sieht diese „Unwissenskultur“ nicht, er hält Missverständnisse und Fehler als ein Resultat mangelnder Bildung des Einzelnen.

So treten sprachliche, kulturelle Missverständnisse nicht nur unter westeuropäischen und osmanischen Vertragspartnern auf. Die Acta Pacis Westphalicae (APW) benennt auch Verständigungsprobleme innerhalb etwa der französischen Diplomatie. Denn auch Instruktionen, sie können noch so formal gestaltet sein, lassen mitunter mehrere Deutungsoptionen zu. Auch in den vormodernen Friedensprozess ging das Spiel von Information und Fehlinformation ein. Denn es sind ja diese Kategorien allgegenwärtig: bei der Amnestie geht es um bewusstes Vergessen, Geheimartikel sollen die Transparenz von Inhalten und Kenntnissen steuern, Missverstand ist eine häufig in Präambeln aufgeführte Begründungsmetapher.
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Dass die europäische Diplomatie die Gefahr von Missverständnissen und Fehlinterpretationen einkalkulierte, zeigen eine Reihe von zwischenstaatlichen Verträgen und Artikeln, in denen eine Interpretationshilfe vereinbart wurde oder die Ergebnisse bereits abgeschlossener Friedensverträge nochmals – gewissermaßen mit anderen Worten – auf eigens einberufenen Kongressen fixiert wurden. Beispiele derartiger Interpretationsartikel und –verträge mit dem Ziel, Missverständnisse zwischen den Friedensvertragspartnern zu vermeiden oder getroffene Vereinbarungen zu konkretisieren sind z.B. der Vertrag zur Interpretation des Waffenstillstandes 1607 IV 24 (1607 VI 12), der Vertrag zur Interpretation von Schwerin zum Allianzvertrag von 1757 IV 1 zwischen Frankreich und Mecklenburg-Schwerin (1757 XII 1) oder auch die Konvention von Madrid zur Interpretation von Artikel 24 des Familienpaktes (1768 I 2).

Die Beschäftigung mit Ignoranz und Missverständnissen führt zu der Überzeugung, dass nicht nur richtiges, empirisch nachweisbares Wissen erfolgreich transferiert und verbreitet wurde, sondern eben auch Unwissen. Welches Wissen sich durchsetzt, scheint also – bis heute – auch eine Frage von Weltbildern und -anschauungen zu sein.

Die dialektische Verbindung von Ignoranz und Weisheit ist bei Kopernikus, Grotius, Locke und vielen anderen zu finden. Denn Missverständnisse sind ja nicht nur Belege des Scheiterns, sondern auch des kulturellen Fortschritts.

Mitarbeiter: « Dr. Martin Espenhorst, geb. Peters »

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